“Selbst Schuld! Jetzt geht es dir schlecht! Hättest du nur nicht so viel gegessen!” So oder so ähnlich verurteilen wir uns für etwas, das geschehen ist. Wieso tun wir das?

Das, was geschehen ist, liegt in der Vergangenheit. Ich kann jetzt nichts mehr daran ändern, dass ich vor 30 Minuten zu viel gegessen habe!

Jetzt geht es mir körperlich schlecht und zusätzlich lade ich mir noch die Schuld dafür auf! Diese Schuld bewirkt nur, dass ich mich noch schlechter fühle. Problem für emotionale Esser:innen: Wir haben etwas getan oder es ist etwas geschehen, weswegen es uns schlecht geht. Dann geben wir uns die Schuld dafür und wir fühlen uns noch schlechter. Als emotionale Esser:innen greifen wir automatisch zum Essen, um unseren Gefühlshaushalt zu regulieren!

Selbst wenn wir das wissen, dass die Schuld uns jetzt nichts nützt, halten wir dennoch an ihr fest. Wieso tun wir das?

Schuld als Konzept aus unserer Kindheit

Ganz davon abgesehen, dass wir in einer Welt leben, in der es üblich ist, nach der Schuld zu fragen, ist meiner Erfahrung nach Schuld ein Konzept aus der Kindheit. Dabei ist “Schuld haben” ein Trick, über den sich das Kind einbilden kann, Macht zu haben. Die Schuld-Idee bringt das Kind aus der Ohnmacht heraus.

Beispiel: Ein Kind fühlt sich von einem Elternteil nicht geliebt oder die Eltern trennen sich. Es kann auch sein, dass jemand im Umkreis des Kindes stirbt oder krank wird. Oft übernehmen in diesen Fällen die Kinder die Verantwortung für das, was geschehen ist, obwohl es nicht in ihrer Verantwortung ist. Genauer gesagt, suchen sie sogar die Schuld bei sich selber. Sie überlegen, was sie anders machen können, was mit ihnen nicht stimmt, dass der Papa es nicht lieb hat, dass die Eltern sich trennen und so weiter.

Jedes Kind trifft dabei ganz individuelle Entscheidungen: Papa liebt mich nicht genug, weil ich ein böses Kind bin, weil ich nicht klug genug bin, weil ich das oder das getan habe. Es gibt sich selbst die Schuld daran, dass Papa es nicht mehr lieb hat.

Wider der Illusion von Macht!

In dieser Schuld steckt eine tolle Chance! Denn: Wenn ich Schuld an etwas habe, weil ich etwas falsch gemacht habe, weil mit mir etwas nicht stimmt, dann bin ich diejenige, die bewirken kann, dass Papa mich wieder liebhat. Ich kann ein braves Kind sein, ich kann mich in der Schule verbessern, ich kann die Kleidung tragen, die meinem Papa gefällt und so weiter …

Dieses Schuldkonzept gilt im Erwachsenenleben weiter. Es gibt uns die Illusion von Kontrolle und Macht. Wenn ich etwas verbockt habe, ich die Schuld an etwas habe, dann habe ich die Macht, das wieder geradezubiegen. Ich kann mir einbilden, ich kontrolliere mein Leben, wenn ich nur keinen Fehler mache.

Welt ohne Richtig und Falsch

In Wirklichkeit gibt es keine Schuld, keine Unschuld, kein Richtig oder Falsch, keine Fehler. Alles geschieht, das Leben fließt, die Dinge geschehen und wir tun so, als könnten wir beurteilen, ob das, was gerade geschieht, richtig oder falsch, gut oder böse ist. Leben ist pures Sein, ohne Wertung.

Die Rolle von Bedürfnissen

Hier möchte ich gerne die Idee einer Teilnehmerin teilen. Um ihrem eigenen Schuld-Konzept auf die Spur zu kommen, hat sie aus der Bedürfnisliste der Gewaltfreien Kommunikation die Bedürfnisse herausgesucht, die sie sich mit dem Schuldkonzept erfüllt. Als zweiten Schritt hat sie die Bedürfnisse herausgesucht, die dabei unerfüllt sind. Vielleicht ist diese Anregung für dich interessant.

Schuld überwinden mit The Work of Byron Katie

Wenn du bemerkst, dass du dir für etwas die Schuld gibst, kannst du folgendes probieren:

  • Finde die Bedürfnisse, die du dir mit dem Schuldkonzept erfüllst, und überprüfe diese Ideen mit The Work of Byron Katie. Beispiel: Wenn ich die Schuld für … übernehme, dann ist mein Bedürfnis nach (trage hier dein Bedürfnis ein) erfüllt.
  • Überlege, in wie fern und über was soll diese Schuld-Idee dir die Illusion von Macht oder Kontrolle geben? Schreibe deine Antworten auf, erstelle eine Liste und überprüfe mit The Work of Byron Katie, ob das wahr ist. Beispiel: Wenn ich mir für … die Schuld gebe, dann kann ich darüber bestimmen, dass …
  • Überlege, in wessen Angelegenheiten du bist, wenn du dir die Schuld gibst! Bist du in diesem Moment in deinen Angelegenheiten? Wenn du feststellst, dass du nicht in deinen Angelegenheiten bist, finde heraus, wie du jetzt in deinen Angelegenheiten sein kannst! Beispiel: Wenn ich mir die Schuld daran gebe, dass ich vor 30 Minuten zu viel gegessen habe, dann bin ich nicht in meinen Angelegenheiten, weil die Vergangenheit nicht in meiner Kontrolle ist. Um in meinen Angelegenheiten zu sein, könnte ich jetzt spazierengehen oder meine stressigen Gedanken aufschreiben.

Was ist dein Gewinn, wenn es dir gelingt aus dem Schuld-Konzept auszusteigen? Du wirst immer weniger Momente haben, in denen es dir schlecht geht, weil du dir die Schuld an etwas gibt. So hast du immer weniger Situationen, in denen du isst, weil es dir wegen der Schuld schlecht geht.

Finde weitere Anregungen zu Essen und The Work of Byron Katie in dem Buch Juhu! Ich habe Süßigkeiten gegessen!

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay